Der glatte Gott
Wenn man unserer Zeit eine Handbewegung zuordnen sollte, wie einst in der Fernsehsendung von Robert Lembke „Wer bin ich?“, dann würde es vermutlich das Wischen über eine glatte Oberfläche sein. Wir alle haben solche „Wischkasterl“ – wie es in Bayern humorvoll heißt – ein Smartphone oder ein ähnliches mobiles Endgerät, das sich einfach mit einem Wisch bedienen lässt. Der muslimische Theologie Karimi spricht davon, dass diese Glätte einen eigenen Reiz hat. „Das Gefühl, ein Smartphone zu berühren, die glatte Oberfläche, der makellose Bildschirm, ist wie eine Einladung in eine Welt ohne Wi¬derstand. Die Finger gleiten mühelos darüber, fast schwerelos. Doch Glätte ist auch trügerisch. Sie lässt keine Spuren zu, sie nimmt nichts auf. Kein Abdruck verweilt, kein Kratzer erzählt von der Geschichte des Gebrauchs. Alles bleibt unberührt, steril — geschichtslos. Was glatt ist, kann keinen Halt geben. Vielleicht fasziniert uns die Glätte, weil sie eine Perfektion verspricht, die sich unserer Natur widersetzt. Unmerklich scheint die Omnipräsenz der Glätte in unsere Vorstellung vom Idealzustand hineingewandert zu sein.
Und dieser Wandel im Selbstbild, ist für Karimi auch theologisch nicht unerheblich. „Der Übermensch von morgen, der alles weiß, alles kann, alles will und endlos lebt, wird kein Mensch mehr sein, sondern ein Gott 2.0. Dieser Gott stellt ein Spiegelbild unserer eigenen Bestrebungen dar.“
Gerade in den drei großen Religionen des Judentums, Christentums und Islam sind für Karimi, die wirkmächtigen Erinnerungen aufgehoben, „dass das Menschsein nicht in der Perfektion liegt, sondern in der Beziehung: zur Schöpfung, zu anderen Menschen, zu Gott.“
An Palmsonntag kommen wir mit dem Gott in Kontakt, an dem das Leben nicht einfach so abglitt. Wir steigen in der Passionserzählung ein in die Leidensgeschichte Jesu. Der göttliche Jesus Christus klammerte sich eben nicht an sein Gottsein, sondern setzte sich dem Menschsein aus – bis zum bitteren Ende, wie es im Philipperhymnus (Phil 2,6) an diesem Sonntag heißt. Da begegnet uns kein glatter Held.
Der Theologe Karimi formuliert als Impuls der Religion für unsere Tage: „Ein Gott, der den Menschen in seiner Unvollkommenheit liebt, öffnet einen Raum, in dem wir uns selbst annehmen können. In einer Zeit, in der Maschinen viele unserer Fähigkeiten übertreffen, könnte die Aufgabe sein, dass wir wieder lernen müssen, unsere Unvollkommenheit zu würdigen. Eine Theologie der Imperfektibilität ist eine Befreiung, eine Einladung, in der Tiefe unserer Fehlbarkeit die Schönheit des Lebens zu entdecken.“
Mathias Wolf
Nach: Ahmad Milad Karimi, Der bessere Gott? Die künstliche Intelligenz konfrontiert den Menschen mit der Frage nach seinem Selbstverständnis. Und mit seiner Hoffnung auf Erlösung, in: PUfo 3/2025