Ein Herz aus Fleisch
Ein Herz aus Fleisch„Ich gebe euch ein neues Herz und einen neuen Geist gebe ich in euer Inneres. Ich beseitige das Herz von Stein aus eurem Fleisch und gebe euch ein Herz von Fleisch.“ – Dieses drastische und sehr bildhafte Wort des Propheten Ezechiel hören wir in jeder Osternacht. Neues Herz, neuer Geist, Herz aus Fleisch – das gehört zu den großen Heilszusagen Gottes, die immer wieder neu in uns Wahrheit werden wollen. Gar nicht so leicht, sich darauf einzulassen, oder? Wäre ein Herz aus Stein nicht viel besser und bequemer, weil weniger angreifbar, weniger verletzlich. Einfach cooler. Lebt es sich nicht leichter, wenn man die Not und den Schmerz der anderen nicht an sich heranlässt, es einfach abperlen lässt? Unser Gott ist einen anderen Weg gegangen. Menschwerdung. Das Wort ist Fleisch geworden. Damit hat er sich unweigerlich verletzlich gemacht. Jesus geht diesen Weg. Berührbar. Verletzlich. Das Leid der Menschen hat immer sein Herz angerührt. In einer englischen Übersetzung der Geschichte, in der eine Mutter ihren toten Sohn betrauert, da heißt es sogar „his heart went out to her“ (sein Herz ging heraus zu ihr, er hatte Mitleid mit ihr). Und am Schluss bleibt Jesus nichts erspart. Allein gelassen werden, Verleugnung, Verrat durch die Freunde, körperliche Qual bis zur Vernichtung. Es sich zu Herzen gehen lassen. Das braucht das Herz aus Fleisch, das Gott uns gibt, geben will. Ich denke in diesen Tagen immer wieder an die Menschen, die Missbrauch erlitten haben. Passiert es wirklich, dass sie in ausreichendem Maße gehört werden, dass ihre Qual anerkannt wird, dass wir im Herzen bei ihnen sind? In Südafrika gab es nach dem Ende der Apartheid eine Wahrheits- und Versöhnungskommission. Wesentliche Aufgabe war, dass all das Grauenhafte und Ungehörte endlich zu Gehör kam. Und dass es Menschen gab, die bereit waren zu hören und es sich zu Herzen gehen zu lassen – bis an den Rand dessen, was ein Mensch ertragen kann zu hören. „Du für mich – wie so groß ist die Liebe. Du für mich – Deine Arme so weit. Du am Kreuz, das ist mehr als ich fassen kann, eine Quelle der Gnade und so ziehst du mich an.“ (Weltjugendtag-Kreuzlied)Wer Jesus nachfolgt, kann sich darauf gefasst machen, dass er um das Herz aus Fleisch nicht drum herum kommt. Und auch nicht um die Liebe, die Gnade und das Leben, das Gott uns damit schenkt.Susanne Degen, Pastoralreferentin