Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

Gottes große Liebe

"Gottes große Liebe, Gottes große Liebe, Gottes große Liebe, in Jesus seh´n wir sie…“ - so singen wir gerne mit Kindern im Gottesdienst und nicht nur die Kinder machen begeistert mit bei den Bewegungen zu diesem schwungvollen Lied.

„Gott liebt alle Menschen gleich“, „Liebe Deinen Nächsten“… immer wieder geht es um Liebe. Aber wenn wir davon reden, dass wir lieben, dann geht es sehr schnell darum, bestimmte Personen zu lieben. Unsere Kinder, Eltern, Partner… warum eigentlich beschränken wir unsere Liebe auf einen ausgewählten, exklusiven Personenkreis? „Das ist _meine_ Mama!“, sagen kleine Kinder und meinen damit: „Sie und ihre Liebe zu mir, meine besondere Rolle in ihrem Leben, gehören nur mir, ich teile nicht.“ Was aus kindlicher Sicht überlebensnotwendig ist, eine enge Bindung an bestimmte Personen, das ist für Erwachsene überholt.

Was ist unsere Vorstellung von Liebe? Nicht nur die Dichter, auch die Denker haben über die Jahrhunderte so ihre Überlegungen angestellt und zu Papier gebracht. So schön Liebeslieder und -gedichte sein können - mich faszinieren die Menschen, deren Vorstellung von Liebe freier und umfassender ist.

Niklas Luhmann, der wichtigste deutschsprachige Vertreter der soziologischen Systemtheorie, widerspricht vehement allen Vorstellungen, dass Liebe etwas auf Gegenseitigkeit, also ein auf Zugewinn oder „Gütertausch" ausgerichtetes Geben und Nehmen sein könnte. Er stellt etwas gänzlich anderes vor: „Soweit es überhaupt um ‚Geben‘ geht, besagt Liebe (…): dem anderen zu ermöglichen, etwas zu geben dadurch, dass er so ist, wie er ist.“

Wie schwer ist es, den Anforderungen und Erwartungen „zu genügen“, die von vielen Seiten an jeden von uns gestellt werden. Und wie berührend ist der Gedanke, einfach dadurch, zu sein, wie ich bin, eine Gabe, ein Geschenk zu sein. Wie herausfordernd andererseits der Gedanke, dieses eben auch dem anderen zu ermöglichen. Wohin mit all dem, was stört, was nervt, was andere immer falsch machen? Kann ich das „sein“ lassen? Den anderen so wie er ist als Geschenk annehmen? Und überhaupt: Ich _gebe_ die Möglichkeit, etwas _zu bekommen_. Ich öffne mich dem, was der andere zu geben hat - sich selbst in seiner Gänze und Unverfälschtheit. Und gebe mich selbst, in gleicher Weise vorbehaltlos. Darauf vertrauend, angenommen zu werden.

Ich scheitere permanent, aber ich finde dieses Konzept als Ziel so großartig, dass ich es bis zu meinem letzten Tag immer wieder versuchen werde.

Erich Fromm, deutsch-amerikanischer Philosoph und Sozialpsychologe, hat der Liebe ein ganzes Buch gewidmet und nein, es ist kein Ratgeber für Paare mit Beziehungsschwierigkeiten, zumindest nicht direkt ;-). Seine Definition lautet so:

„Liebe ist (…) ein tätiges Streben und eine innere Bezogenheit, deren Ziel das Glück, das Wachstum und die Freiheit ihres Objektes ist. Sie ist eine Bereitschaft, die sich grundsätzlich jeder Person und jedem Objekt einschließlich unserer selbst zuwenden kann. Ausschließliche Liebe zu einer bestimmten Person ist ein Widerspruch in sich selbst.“

Und an anderer Stelle: „Sie ist eine Haltung, eine Orientierung des Charakters, welche die Beziehung eines Menschen zur Welt als Ganzes und nicht nur zum Objekt der Liebe bestimmt.“

So wie Herr Luhmann und Herr Fromm es beschreiben, so stelle ich mir „Gottes große Liebe“ vor. Und nicht nur die genannten Herren trauen es auch uns Menschen zu, so zu lieben. Ich auch.