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Jüdisch-christliche Traditionslinien angesichts von Ausgrenzung und Diskriminierung – ein Beitrag zur aktuellen Debatte

In der aktuellen Diskussion zum Umgang mit rechtsradikalen Tendenzen in Deutschland werden zahlreiche Argumente eingebracht. Auch die katholische Kirche hat mutig Position bezogen (vgl. Hirtenbrief der ostdeutschen Bischöfe).

https://www.bistum-magdeburg.de/aktuelles-termine/nachrichten/gemeinsames-wort-der-katholischen-ost-bischoefe.html

Jede Form von Fremdenfeindlichkeit ist der christlichen Botschaft so fremd, dass diese Selbstverständlichkeit oft gar nicht mehr eigens benannt werden. Es macht in diesen Zeiten aber durchaus Sinn, die Traditionslinien des jüdisch-christlichen Menschenbildes eigens zu benennen und als eigenen Beitrag in die gesellschaftliche Diskussion einzubringen. Die folgenden Gedanken sind ein Versuch hierzu, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Nöte und Sorgen, die Menschen aufgrund der gesellschaftlichen und globalen Entwicklungen der letzten Jahre (Corona, Ukrainekrieg, Klimawandel, Inflation, Wohnungsmangel etc.) umtreiben, müssen gehört werden und auch in der Kirche auf Resonanz stoßen (vgl. hierzu GS 1). Viele Menschen sind zuletzt nicht auch deshalb populistischen Äußerungen gegenüber offen, weil sie sich selbst nicht wahrgenommen sehen in ihren Bedürfnissen und gesellschaftliche und ökonomische Ausgrenzung erleben oder befürchten. Die Kirche muss sich in der gesellschaftlichen Debatte auch auf die Seite dieser Menschen stellen und zur Versachlichung beitragen, damit vermeintlich einfache und schnelle Lösungen auf ihren wirklichen Gehalt hin geprüft werden.

Unabhängig hiervon können aus theologischer Perspektive einige Punkte die spezifische Sicht des Christentums und der katholischen Kirche (im wahrsten Sinn des Wortes von „allumfassend“) umreißen.

 

Gott hat den Menschen nach christlicher Überzeugung „männlich und weiblich“ als sein Abbild geschaffen (vgl. Gen 1,27). Hierin ist nach dem Verständnis der Bibel eine gute Schöpfungsordnung der einen Menschheitsfamilie, wie sie sich auch in der Konzeption der Ureltern Adam und Eva (vgl. Gen 2-3) zeigt, grundgelegt. Diese Ordnung ist durch das Böse bzw. die Gewalttat des Menschen gestört. Es besteht aber Gottes klarer Wille, die ursprüngliche gute Ordnung wieder herzustellen (vgl. hierzu Fluterzählung).

 

Das Volk Israel kommt in seiner langen Geschichte immer wieder in Kontakt zu anderen Völkern. Diese Geschichte ist durchaus auch von Gewalt geprägt. Im Umgang mit den Fremden im eigenen Land zeigt sich hierbei aber der Appell, sich an die eigene Fremdheit zu erinnern und deshalb Fremden mit Achtung zu begegnen (vgl. etwa Formulierung in Lev 19,34 u.a.). In den Erfahrungen des Exils und der Vertreibung formulieren die Propheten eine Perspektive des Heils für alle Völker (vgl. Völkerwallfahrt und Völkerfrieden in Jes 2) und mahnen einen gerechten Umgang mit den Mitmenschen an. In Jesus ist Gott nach christlichem Verständnis Mensch geworden und so begegnet im Menschen (und zwar in jedem) Gott (vgl. Leo der Große). In der Menschwerdung Gottes ist der ursprüngliche Plan der Erschaffung der Welt (s.o.) von Gott wirkmächtig wieder hergestellt worden und durch die Reich Gottes-Botschaft Jesu mit einer Perspektive versehen worden. Das Wort Jesu (vgl. Mt 25), dass in jedem notleidenden Menschen er selbst gegenwärtig ist (vgl. hier auch die Formulierung des Werkes der Barmherzigkeit „Fremde aufnehmen“), bringt bereits eine universal menschliche Perspektive in den Blick.

 

Das frühe Christentum hat durch das Wirken und Denken des Paulus die Grenzen Israels überwunden und das neue Gottesvolk als Volk aus vielen Völkern als Grundlage des Christlichen konstituiert (vgl. hier vor allem Gal 3,28). Die frühe Kirche hat mit dem Ende der römischen Antike das Universale des Christentums in der Idee der Reichskirche in ein christliches Universum implementiert. Die Kaiser des römischen Reiches sahen sich in der Folge als Sachwalter dieser Idee (letztlich von Karl dem Großen bis Karl V.) und haben sie - mit durchaus auch fragwürdigen machtpolitischen Mitteln - versucht zu verwirklichen. Die Theologie des Mittelalters hat sich ausführlich mit der Idee des „bonum commune“ (Gemeinwohl) als Grundlage guten Regierens befasst und diese Kategorie nicht zuletzt über die Soziallehre in gesellschaftspolitische Diskurse eingebracht. Das Wohl aller Menschen ist hier als Ziel und Maßstab politischen Handelns formuliert. Mit dem mehrfachen Zusammenbruch der Ideologie des Nationalen bzw. Völkischen in zwei Kriegen der Neuzeit hat die Kirche im 2. Vatikanischen Konzil ihre eigne Rolle auch im Hinblick auf die Völker beschrieben. In LG 1 definiert sie sich als „Sakrament, Zeichen und Werkzeug“ für die „Einheit der Völker“ (Universitas gentium). In ihrem politischen Wirken vor allem in der UNO, bei internationalen diplomatischen (Friedens-)Verhandlungen, aber auch in ihrer „katholischen“ Lebensweise und Perspektive versucht sie diesen Dienst für die Einheit der Völker konkret umzusetzen. Zusätzlich hat das gleiche Konzil auch die Bedeutung anderer Religionen und Weltanschauungen (NA) und die Konzeption der Menschenwürde positiv aufgenommen (DH) und in der nachfolgenden Lehre bestärkt. Jedem Menschen kommt unabhängig von seiner Herkunft, Leistung und gesundheitlicher Konstitution göttliche Würde zu, die vom Anfang des Lebens bis zu dessen Ende zu achten ist und die seine Lebensumstände in einem Leben in Gerechtigkeit und Beteiligung prägen müssen.

 

Diesem Anspruch des Christlichen sind viele Protagonisten über die Jahrhunderte sicher nicht gerecht worden. Das nimmt aber der Geltung dieses Anspruches nichts von seiner Berechtigung (vgl. das Prinzip „abusus non tollit usum“). Vielmehr verstärkt diese Tatsache den Anspruch auch in aktuellen Gegenwart dem christlichen Grundverständnis des Menschen gerecht zu werden. Diese Traditionslinie prägen nach wie vor das „christliche Abendland“.

Das Christentum ist mit keiner Ideologie oder Praxis vereinbar, die einen Ausschluss von Menschen aus der Gesellschaft oder die Missachtung ihrer Würde aufgrund von äußerlichen Merkmalen fordern. 

Mathias Wolf, Diakon