Risse und Licht
Kürzlich fand ein Klausurtag unseres Pfarrgemeinderats statt.
Dieser wurde durch Pfr. Reichert als „geistlicher Tag“ gestaltet, der allen Teilnehmenden sehr gut gefiel bzw. guttat. Deswegen möchte ich ein paar Gedanken zum Thema dieses Tages mit Ihnen teilen und mit einem mir passend scheinenden Musikbeispiel ergänzen.
Es geht um die Brüche, Ruinen, Trümmer oder Scherben des Lebens. Kein schönes oder einfaches Thema, aber doch allgegenwärtig. In großen, sogar globalen Zusammenhängen denken wir z.B. an die Klimakrise, erodierendes Vertrauen in Institutionen und Demokratie, Machtmissbrauch (innerhalb und außerhalb der Kirche), Entsolidarisierung und gewalttätige Auseinandersetzungen. Aber auch in kleinen, den privaten Zusammenhängen zerbricht häufig etwas und wir erleben Risse im Plan unseres Lebens oder stehen gar vor einem ganzen „Trümmerhaufen“, etwa wenn eine Beziehung zerbricht, der Arbeitsplatz verloren geht oder eine Krankheit plötzlich alles ändert. Oft gibt es natürlich auch unheilvolle Wechselwirkungen. Und wie steht es da mit Gott? – Hat er all die Gebeutelten vergessen und verlassen oder sind die „Brüche im Leben“ gar als Strafe Gottes zu verstehen?
Ein Blick in die bewegte Geschichte des Volkes Israel im AT der Bibel gewährt einen interessanten Einblick zum Umgang mit existentiellen Krisen. Am Beispiel des Jerusalemer Tempels lassen sich große Umbrüche erkennen, z.B. die Zerstörung im Jahr 587 v.Chr. durch die Babylonier, dem der Weg ins Exil folgte und ca. 65 Jahre später die Rückkehr und der Neubau des Tempels in kleinerem Format.
In der Zeit zwischen dem Zusammenbruch und dem Neubau muss viel passiert sein: nicht erst das Planen eines neuen Tempels und das Anpacken beim Neubau, sondern vielmehr das vorangegangene Überwinden des inneren Traumas, das auch das Gottvertrauen beschädigt hatte, ist sicher entscheidend. Die Erfahrung des Volkes Israel in der größten Krise ist, dass in der schweren Zeit der Verluste Gottesbeziehung und Gottvertrauen „trotz allem“ neu wachsen und zur Grundlage der Hoffnung auf Neubeginn werden konnte.
So konnten aus Trümmern und Ruinen neue Fundamente und Bausteine werden. Das passiert nicht von allein, sondern oft unmerklich mit Gottes Hilfe - und ist trotzdem noch ein riesiger Kraftakt. Manch eine/r entdeckt erst viel später im Leben, welche neuen Wege und Möglichkeiten sich erst durch einen Zusammenbruch ergeben haben. Vielleicht finden Sie auch Beispiele aus Ihrem Leben, wo es so war?
Leonard Cohen, der 2016 verstorbene jüdische Musiker, Poet und Gottessucher hat in seinem wunderschönen Lied „Anthem“ den hoffnungsvollen Ausblick in der Krise wiefolgt ausgedrückt:
“There is a crack in everything
That’s how the light gets in.”
Anbei der Link zum Lied: www.youtube.com/watch
Unsere Brüche, unser Unvermögen, unser Scheitern sind die Orte, in denen das göttliche Licht der Hoffnung in unsere (große und kleine) Welt kommt. Es sind die Risse, die wir zulassen müssen, damit das göttliche Licht zu uns durchdringen kann und die Dämonen der Depression vertreibt.