Zweifeln erlaubt?
2015-04-11 10:55:40
Das heutige Evangelium erzählt die Geschichte von Thomas. Sie hat mich immer schon fasziniert. Im Internet lese ich und zitiere frei:Nach der Kreuzigung erscheint Christus einer Gruppe Jüngern, zunächst ohne Thomas. Als die Jünger Thomas von der Begegnung mit Christus erzählen, entgegnet er: ‚Solange ich nicht die Wundmale des Gekreuzigten gesehen und meinen Finger in seine Seite gelegt habe, glaube ich nicht.‘ Als Christus dann ein weiteres Mal unter die Jünger tritt, fordert er Thomas auf, die Hand in seine Wunde zu legen und zu glauben. Jetzt antwortet Thomas: ‚Mein Herr und mein Gott.‘Oben sehen Sie ein Bild von Caravaggio (kopiert von: [url=http://www.mein-italien.info/kunst/unglaeubige-thomas.htm]http://www.mein-italien.info/kunst/unglaeubige-thomas.htm[/url]) . Caravaggio malt solche realistischen Bilder. Immer wieder.In diesem Augenblick untersucht Thomas‘ Zeigefinger Jesu‘ Wunde. Seine Augen sind weit aufgerissen. Sein Kopf ist schmal. Seine Stirn in Furchen zeigt die physische Anstrengung. Seine Hände sind grob, die Fingernägel dunkelrandig, seine Nase ist geplättet wie die eines Boxers, und der Mantel ist zerschlissen. Wie die drei Jünger ist auch Jesus ganz in dieser Berührung. Auch er schaut, voll Gnade, voll Empathie. Er führt Thomas die Hand, nicht abwehrend, sondern damit Thomas auch wirklich alles begreift.Hier geht es um die Erfahrung des Glaubens für Thomas. Thomas ist ein Verstandesmensch. Die Glaubenserfahrung geschieht, weil Jesus Zweifel zulässt, den Wunsch nach Evidenz, nach Erfahrung.Es gibt so viele Antworten der Kirche, geschichtlich bedingte, vermeintlich evidente, die so schwer zu verstehen sind. Früher und auch heute. Eine kleine Auswahl dieser Antworten?„Die Erde ist der Mittelpunkt des Universums – die Hierarchie der Gesellschaft ist Gott gegeben – Gott hat alle seine Kreatur geschaffen, die Evolutionstheorie ist falsch - Wiederverheiratete Geschiedene dürfen nicht zur Kommunion – Homosexualität kann nicht gesegnet sein - Frauen können in der katholischen Kirche keine leitende Funktion einnehmen - … - … - …“Ist es falsch zu fragen, ob diese Antworten richtig sein können? Ob Jesus, heute unter uns lebend, sie so gegeben hätte? Auch wenn wir in Oberursel/Steinbach vielleicht nichts ändern können? Ist es falsch zu bohren, wenn Antworten absurd sind? Können Dinge nicht einfach falsch sein, auch wenn wir sie lange geglaubt haben, auch wenn sie in der heiligen Schrift stehen? Müssen wir nicht immer neu fragen? Müssen wir nicht immer neu an uns und an unseren Gewissheiten zweifeln?Hätte Jesus so geantwortet? Jesus hätte die Hand des Fragenden genommen und in seine Wunde gelegt. Können wir ermessen, wie heilend Jesus handelt für die zweifelnden Geister?Prof. Harald Schwalbe