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„Ihr Frauen ordnet euch euren Männern unter.“ – Nein, einfach nein.

Es ist der 22. August 2021. Immer wieder bin ich in diesen Tagen tief erschüttert, wenn ich in den Nachrichten oder in der Zeitung die Bilder aus Afghanistan sehe. Menschen fliehen in großer Angst und Verzweiflung aus ihrem Land – oder versuchen es vergeblich unter Aufbringung aller Kräfte. Sie fliehen unter anderem deshalb, weil sie befürchten, dass Frauen und Mädchen unter dem Regime der Taliban ihre Freiheit und jegliche Rechte verlieren und dass man sie – durchaus mit grausamen Mitteln – zur bedingungslosen Unterordnung zwingt. Es ist der 22. August 2021. Ich sitze im Gottesdienst und höre die zweite Lesung. Sie entstammt dem Brief an die Gemeinde in Ephesus. Da heißt es: „Einer ordne sich dem andern unter in der gemeinsamen Furcht Christi! Ihr Frauen euren Männern wie dem Herrn, denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist. Er selbst ist der Retter des Leibes. Wie aber die Kirche sich Christus unterordnet, so sollen sich die Frauen in allem den Männern unterordnen.“ - Die Antwort der Gemeinde auf den Zuruf „Wort des lebendigen Gottes“ – „Dank sei Gott, dem Herrn“ bleibt mir im Hals stecken.

Nein, einfach nein. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir solche Texte nicht mehr im Gottesdienst hören sollten – jedenfalls nicht ohne entsprechende Auslegung. Wie kann ein solcher Text, der die vollständige Unterordnung einer Gruppe von Menschen unter eine andere fordert, noch Teil einer befreienden Verkündigung sein?

Sicher, der Text geht noch weiter. Da heißt es auch, dass die Männer ihre Frauen lieben sollen – wie auch Christus die Kirche geliebt hat. Das ist für die damalige Zeit sicher ein Fortschritt gewesen, dass auch die Männer zu etwas aufgefordert wurden. Neben der Liebe zu den Frauen werden sie noch aufgefordert, Sklav*innen nicht zu drohen und ihre Kinder nicht zum Zorn zu reizen.

Elisabeth Schüssler Fiorenza, Professorin für Neues Testament, schreibt dazu in ihrem Buch „Zu ihrem Gedächtnis…“, dass der Verfasser wohl durchaus die Absicht hat, die damals gängige patriarchale Herrschaft in Frage zu stellen. Die Ordnung des Haushalts soll durch den Verweis auf die Liebesbeziehung Christi zur Kirche einen neuen Charakter erhalten, nur schafft der Verfasser nicht den Schritt, das Muster der patriarchalen Haustafeln zu verändern. „Statt dessen zementiert der Brief an die Gemeinde von Ephesus die untergeordnete Stellung der Ehefrau in der Ehebeziehung christologisch. […] Das „Evangelium des Friedens“ hat die Beziehungen zwischen HeidInnen und JüdInnen verändert, nicht jedoch die sozialen Rollen von Ehefrauen und SklavInnen im Haushalt Gottes. Ganz im Gegenteil werden die kulturellen und sozialen Herrschaftsstrukturen theologisch überhöht und dadurch verstärkt.“

Ich kann gut mitgehen, dass wir uns in unseren Beziehungen zu anderen Menschen an der Liebe Christi orientieren sollen. Punkt. Die Liebe Christi oder Religion generell zu benutzen, um die Unterordnung von Menschen zu legitimieren, ist ein Irrweg.

Susanne Degen

Der Sachausschuss WIR KÖNNEN MEHR plant Anfang kommenden Jahres eine Veranstaltung für Lektorinnen und Lektoren und weitere Interessierte zum Thema: „Geschlechtergerechte Liturgie – Schwierige Lesungstexte? Wie gehen wir damit um?“. Nähere Informationen und der genaue Termin werden rechtzeitig bekanntgegeben.